Simulation scheint mir ein Schlüsselbegriff für das Verständnis unserer Zeit zu sein. Wir sind umgeben von Simulationen des Lebens wie nie zuvor, wir können uns jederzeit das geliebte, gefürchtete Leben in ungezählten Facetten vor Augen und Ohren führen: Abenteuer, Liebe, Glück, Gefahr, Erfüllung, Scheitern, verwelken und blühn.
Es gibt nichts, was nicht simuliert werden könnte, keine Stimmung, kein Gespräch, kein Sternenhimmel, kein Gefühl.
Außer: das gelebte Leben selbst, von innen sozusagen. Das Freie.
Das frei gewachsene Bewußtsein und Gefühl von sich selbst und von anderen ist nicht simulierbar, Individualität und Persönlichkeit können gespielt und insofern simuliert werden. Aber Eigensein und Selbstheit entziehen sich jeglicher Simulation
Mehr noch: ein zu großer Konsum von Simulationen verhindert eigene Entwicklung.
Der dialektische Gegenbegriff zu Simulation wäre Freiheit. Simulation ist wesentlich auch Manipulation und Fremdbestimmung, aber durch neue Technik als Spiel, Interaktion, Dialog mit dem Schein der Freiheit versehen.
Auf dem Weg zu sich selbst sind die Simulationen ein Wald von Wegweisern, die sich unendlich widersprechen und deren Zusammenspiel keinen Sinn ergibt. Den kann der Wanderer nur in sich selbst finden.
Das, was Guttenberg getan hat, rührt an ein so allgemeines
menschliches Verhalten (man mag an das Abgucken und Vorsagen
in der Schule denken), daß seine hohen Sympathiewerte in der
Bevölkerung bisher kaum Schaden nehmen. Viele fragen in den Medien,
ob das Erschwindeln eines Doktortitels (den man ja als handfestes
Wirtschaftsgut sehen) als allzumenschliche Schummelei bagatellisiert
werden darf.
Jedenfalls schlägt die Affäre so hohe Wellen, daß Guttenbergs Name große
Chancen hat, zum geflügelten Wort zu werden, ja vielleicht sogar zu einem
eigenständigen Tätigkeitswort der deutschen Sprache. "Da mußt du einfach
einen doppelten Guttenberger machen, dann ist die Sache geritzt" -
Oder "Promovieren oder guttenbergieren" - das ist die Frage?
Oder als Ultra-Euphemismus für klauen, stibitzen, mopsen, abstauben uä.:
"guttieren", "guttenbergern".