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Tagesgedanken
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Freitag, den 12. August 2011 um 13:56 Uhr |
Auffallend häufig erlebte ich jüngst in der S-Bahn die halben Gespräche von Mitpassagieren, die sich über ihre Handys
lange und laut mit weiß Gott wem unterhielten. Zunächst fühlte ich mich beim Lesen gestört und spielte
schon mit dem Gedanken, diese Leute zu ermahnen, sich zum Handy-Quatschen doch bitte in irgendeine
möglichst wenig bevölkerte Ecke zurückzuziehen, um die von ihnen ausgehende Belästigung zu vermeiden
oder wenigstens zu minimieren. Aber dann dachte ich an meine Maxime, statt mich zu ärgern, besser das
Beste aus dem Schlechten zu machen. Und ich begann, diese Sätze, Antworten
und halbierten Dialoge als eine Art geistigen Striptease zu empfinden, als freimütig gewährten Einblick in ein völlig
fremdes Leben, Denken und Fühlen. Die Persönlichkeiten schienen sich hier deutlich schneller und entschlossener zu
entblättern als durch ihre Physiognomie oder ihren Gang.
Ich versuchte, die jeweiligen Äußerungen des telefonischen Gegenübers zu erraten und zu ergänzen. Als dann sowohl
zu meiner Linken als auch zu meiner Rechten solch ein halbes Gespräch ertönte, stellte ich mir vor,
die beiden - eine Frau und ein Mann - redeten miteinander, was stellenweise erstaunlich gut paßte. Es war eine ungewöhnlich
amüsante S-Bahn-Fahrt. Als ich aussteigen mußte, war ich fast versucht, mich mit Dank und Handschlag von den Akteuren zu
verabschieden.
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Tagesgedanken
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Montag, den 08. August 2011 um 15:18 Uhr |
Heute früh auf dem Weg ins Büro fiel mir folgender fonesische und gereimte Satz
ein, eigentlich ein Epigramm:
Wer durch frische Pfützen flitzt, kriegt leicht die Füße naß gespritzt.
Ein sehr handfester, am eigenen Leibe erfahrener Tagesgedanke war das, fast zu wahr,
um schön zu sein. Und doch wiederum nur halb wahr, den flitzende Autofahrer haben
dieses Problem nicht. Rätselfrage: womit mag der gefahren sein, dem diese Verse fielen ein?
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Tagesgedanken
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Sonntag, den 24. Juli 2011 um 13:42 Uhr |
Ein rechtsradikaler, fundamentalistischer "Christ" war es also, der auf einer norwegischen Insel
ein Massaker angerichtet hat, das alle Rekorde bricht. Nicht viel weniger als hundert Teenager
hat dieses Monster mit einem wahnsinnigen Gefühl des Rechthabens in seinem kranken Hirn erschossen.
Eine unfaßbare und kaum sühnbare Schande ist diese Tat, für die es eigentlich weder in der Natur
noch in der Zivilisation einen Platz gibt.
Dass dieser Terrorakt politisch gesehen von rechts kam, gießt wenigstens kein neues Öl ins Feuer des
weltumspannenden Kulturkampfes zwischen den Werten des Westens und dem Islamismus.
Aber im Kern faschistisch sind eigentlich alle diese Greueltaten, seien es Amokläufe oder Anschläge
auf U-Bahnen oder Gebäude wie das World Trade Center. Sie sind der extrem übersteigerte Ausdruck dessen, was nach
einer verblüffend einfachen Definition das Wesen des Faschismus ist: die Herrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit.
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Tagesgedanken
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Montag, den 25. Juli 2011 um 10:17 Uhr |
- Büros mit "Skylineblick" zu vermieten -
las ich heute früh aus dem Auto in
riesigen Lettern auf einem Plakat, wohlgemerkt: Skylineblick
mit Anführungszeichen "Skylineblick".
Bemerkte schon öfter die Tendenz des Zeitgeistes, die Gänsefüßchen
zum Zeichen der Hervorhebung und Betonung von Worten verwenden, nicht
mehr als Zitat mit der dazu gehörigen Distanzierung und Neutralisierung, wenn nicht
sarkastischen Ironisierung. In diesem Sinne könnte der "Skylineblick" ganz im Gegensatz
zu der beabsichtigten Werbebotschaft ungefähr bedeuten: sie nennen es "Skylineblick", wenn
du auf einer Leiter und an die Wand gequetscht einen Blick auf ein Zipfelchen Skyline
ergattern kannst.
Für das zeitgenössische Sprachdesign-Gefühl, werden die distanzierenden Gänsefüßchen zu beliebig
verwendbaren Schnörkeln der effektvollen Präsentation. Hier kann man life mit dabei sein, wie eine
sprachliche Bedeutung, ähnlich wie bei dem Wörtchen "genau", in ihr glattes Gegenteil umschlägt.
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Tagesgedanken
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Samstag, den 16. Juli 2011 um 12:44 Uhr |
Heuschrecken-Kommunikation
Eine sehr grüne, etwa wespengroße Heuschrecke hatte heute auf der Windschutzscheibe
meines Autos außen und in Augenhöhe auf der Fahrerseite Platz genommen. Als ich losfuhr,
dachte ich, daß sie vom Fahrtwind rasch wegefegt würde, aber dem war nicht so. Halb
klammerte sie sich fest, halb wurde sie während der Fahrt an die Scheibe gedrückt und blieb
vollkommen reglos. Nur immer, wenn wir an einer Ampel standen, wurde sie aktiv, putzte und
streckte sich wie eine Katze und begann auch schon zu laufen. Einmal fuhr ich vor der Ampel
schon so weit wie möglich vor, um das Insekt, zu dem der Name Grasmücke gut passen würde, noch eine
Weile dadurch festhalten und weiter beobachten zu können. Zu dem ästhetischen Teil meines Motivs konnte
ich noch einen moralischen hinzufügen: im dichten Straßenverkehr hätte er/sie/es beim Verlassen der Frontscheibe
leicht unters Auto kommen können. Und der Einsatz des Scheibenwischers, den ich an einer relativ geeigneten Stelle kurz in
Erwägung zog, wäre für sie oder ihn lebensgefährlich gewesen. So kam der kleine Grüne Grashüpfer mit bis zu meinem Fahrtziel.
Aber dort war ich gleich anderweitig beschäftigt und vergaß das, was ich eigentlich zu tun vorgehabt hatte: ihn oder sie noch eine
Weile von außen zu beobachten, vielleicht bis zu ihrem happy-endgültigen Absprung oder Abflug.
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